Waste to value

21.03.2017

Waste to value

Nachwachsende Rohstoffe liegen im Trend. Die Forschungsallianz ZeroCarb FP geht einen Schritt weiter: Sie möchte bestimmte Abfälle zur Basis hochwertiger Produkte machen. So arbeitet FUCHS mit Projektpartnern unter anderem daran, wichtige Bestandteile vieler Schmierstoffe künftig aus altem Frittierfett zu gewinnen – mit Hilfe eines innovativen, ressourcenschonenden Verfahrens.

ZeroCarb“ steht auf dem weißen Tiegel, der von der Form her auch Gesichtscreme enthalten könnte. Die Labormitarbeiterin entnimmt mit einem Spatel etwas Schmierfett und streicht es auf einen kleinen Metallteller. Er ist Teil einer Apparatur auf dem Labortisch, die entfernt an eine Küchenmaschine erinnert – mit angeschlossenem Steuerungs-PC. Per Tastendruck startet die Laborantin die Messung: Eine zweite Metallplatte fährt auf das Fett herunter und beginnt, fast unmerklich, sich zu drehen.

Der Leiter der Vorausentwicklung bei FUCHS SCHMIERSTOFFE GmbH in Mannheim steht daneben und erzählt begeistert, was das relativ schlicht wirkende Gerät alles kann. Es handelt sich um ein sogenanntes Rheometer – darin steckt das griechische Wort für Fließen. „Viele Schmierstoffe sind aber nicht einfach nur zähflüssig, sie haben auch eine kleine elastische Komponente.“ Zur Veranschaulichung dreht er seine locker aneinandergelegten Handflächen gegeneinander: „Wenn Sie einen Schmierfilm so verwinden, gibt es eine winzig kleine Rückstellkraft.“ Diese kann das Rheometer messen, wenn es die Teller dreht, während Parameter wie Plattenabstand und Temperatur präzise vorgegeben sind. „Dabei liegt die kleinste mögliche Geschwindigkeit bei zwei Umdrehungen pro Jahr. Pro Jahr!“, betont der Abteilungsleiter.

Letztlich, fährt der Leiter der Vorausentwicklung fort, vereine so eine Rheometer-Untersuchung viele klassische Testverfahren für Schmierstoffe in einem einzigen, automatisierten Messvorgang. Sie ist damit ein Schlüsselelement für das, was bei ihm und seinen Mitarbeitern auf der Agenda steht: Die Entwickler wollen prüfen, ob sich der Schmierstoff im Rheometer – mit ersten konkreten Prototypen aus dem Forschungsprojekt ZeroCarb (siehe „Die strategische Allianz ZeroCarb FP“) – exakt genauso verhält wie vorhergesagt.

Die strategische Allianz ZeroCarb FP

Der Name steht für „Zero Carbon Footprint“, also die Eliminierung des Kohlenstoff-Fußabdrucks. Dies möchte die Forschungsallianz durch die Weiternutzung und biotechnologische Veredelung kohlenstoffhaltiger Abfallströme erreichen – die Teilprojekte setzen etwa bei Abwässern, Abgasen oder Nebenprodukten der Biodieselproduktion an. Der Zusammenschluss, dem neben der FUCHS SCHMIERSTOFFE GmbH und der BRAIN AG mehrere weitere Unternehmen verschiedener Branchen angehören, wird seit 2013 im Rahmen der Initiative „Industrielle Biotechnologie“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

9 Jahre werden als Gesamtprojektdauer anvisiert, unterteilt in drei Phasen. Phase zwei wurde inzwischen bewilligt und ist Ende 2016 angelaufen.

Vorbereitung für eine Rheometer-Untersuchung zur Bestimmung der Schmierstoffeigenschaften. Im kleinen Bild ist der zweite, drehbare Teller in Startposition für die Messung. Anschließend senkt sich auch die schwarze Haube und verdeckt den Blick auf die Messteller – sie erlaubt es, die Temperatur auf vordefinierte Werte zu regulieren.

Kühlschränke voller Bakterien und Algen  

Der Weg führt zunächst in einen unscheinbaren Souterrain- Raum mit vielleicht einem Dutzend etwas breit geratenen Kühlschränken. „Das ist das Herz der BRAIN AG – unser Bioarchiv“, erklärt Dr. Wolfgang Aehle. Der erfahrene Chemiker ist für die Unternehmensentwicklung im Bereich Performance-Proteine und -Enzyme zuständig. „In den Kühlschränken befindet sich unsere Sammlung von Mikroorganismen und -algen, insgesamt rund 53.000 verschiedene Stämme, die beispielsweise aus Boden- oder Wasserproben isoliert wurden.“

Diese überwiegend unerforschten Bakterien, Hefen und Algen stellen unzählige Enzyme her, um Moleküle aus ihrer natürlichen Umgebung für ihren eigenen Stoffwechsel biochemisch umzubauen. Einige dieser Enzyme sind aber potenziell auch für technische Zwecke nützlich: Sie können bei der Lebensmittelproduktion helfen, die Flecklösekraft von Waschmitteln erhöhen – oder eben organische Moleküle aus bestimmten Abfällen so modifizieren, dass sie für die Schmierstoffherstellung interessant werden.

Damit eine derartige Anwendung praktikabel wird, brauchen die Experten in Zwingenberg zunächst detaillierten Input, was das Enzym bewerkstelligen soll. Den konnte in diesem Fall die FUCHS-Vorausentwicklung liefern, erläutert Dr. Birgit Heinze, ZeroCarb-Projektleiterin bei BRAIN. Ab da kommt das Knowhow der Biotechnologie-Spezialisten zum Tragen. „Erster Schritt ist das Screening“, sagt die Projektleiterin. Es gilt, mögliche Enzymkandidaten und -produzenten ausfindig zu machen. Dazu können die Forscher etwa Mikroorganismen nutzen, von denen sie wissen, dass sie Fettsäuren funktionalisieren. Eine Tür weiter, im molekularbiologischen Labor, werden die Mikroorganismen kultiviert und auf ihre Fähigkeit überprüft, das gewünschte Molekül entstehen zu lassen. „Nach dieser qualitativen Vorauswahl folgt die quantitative Untersuchung“, fährt Birgit Heinze fort. Zu klären ist beispielsweise, wie spezifisch und wie effektiv das jeweilige Enzym wirkt. „Parallel beginnen wir, den eigentlichen biokatalytischen Prozess zu entwickeln.“ Um den technischen Vorgang zu simulieren, bei dem das Enzym später einmal das Ausgangsmaterial in das Produkt umsetzen soll, nutzen die Wissenschaftler einen sogenannten SpinChem-Reaktor – ein gläsernes Gebilde in Kochtopfgröße mit einer Rührvorrichtung und einer daran befestigten löchrigen Kammer. Darin befindet sich, aufgebracht auf einem Trägermaterial, das Enzym. „Hier sehen wir etwa, wie stabil das Enzym ist“, sagt die Projektleiterin.

Detailaufnahme einer Apparatur für einen speziellen Langzeit-Stabilitätstest.

Herausforderung Upscaling


Mit verschiedenen Methoden können die Forscher die Leistungsfähigkeit des Enzyms optimieren. Etwa indem sie den Ursprungs-Mikroorganismus sich evolutiv weiterentwickeln lassen, in der Hoffnung, dass auch das Enzym eine Evolution durchläuft und besser wird. „Gleichzeitig müssen wir noch einen zweiten Prozess entwickeln: die biotechnologische Herstellung des Enzyms selbst“, sagt Wolfgang Aehle. Dabei kommt in der Regel nicht der Ursprungsorganismus zum Einsatz, sondern ein gut erforschter Produktionsorganismus, beispielsweise Kolibakterien. „In diese übertragen wir den genetischen Bauplan für das gewünschte Enzym, damit sie es herstellen können.“

Der BRAIN-Mitarbeiter öffnet die Tür zu einem weiteren Labor. Hier gibt es nicht nur kleine Glasreaktoren, sondern auch stählerne Kesselungetüme – das größte erstreckt sich über mehrere Stockwerke. Aehle erklärt: „Eine große Herausforderung ist das Upscaling: Wenn die Mikroorganismen in einem Ein-Liter-Fermenter wie gewünscht wachsen, heißt das noch lange nicht, dass es auch im größeren Maßstab funktioniert.“ Mindestens in einem 200-Liter-Fermenter wollen die BRAIN-Forscher die Enzymproduktion beherrschen, bevor der Prozess in die industrielle Produktion übergeben werden kann.

In der gerade abgeschlossenen dreijährigen Forschungsphase des Projekts war indes schon die Herstellung von einem Kilogramm Rohsubstanz ein Erfolg. „Dafür haben wir rund drei Gramm Enzym benötigt“, sagt Birgit Heinze. Bei FUCHS in Mannheim wiederum entstanden aus dem einen Kilogramm einige Kilo Schmierstoff. „Im Labor wurde in Vorversuchen auch schon mit Mengen ab zehn Gramm Rohstoff gearbeitet. Um solche Kleinstmengen Schmierstoff zu produzieren, stellen sich die Kollegen mit einem Thermometer ein oder zwei Stunden hin und mischen manuell“, erklärt die Teamleiterin der Vorausentwicklung, die bei FUCHS die ZeroCarb-Aktivitäten koordiniert. „Und in der Vorausentwicklung können wir dank unserer modernen Messmethoden auch tatsächlich schon mit wenigen Gramm aussagekräftige Untersuchungen anstellen.“

Entscheidend dafür: die erwähnten Rheometer. Mit wenigen Handgriffen können sie für tribometrische Tests umgerüstet werden – Messungen also, bei denen Reibung und Verschleiß mit ins Spiel kommen. „Aus diesen Ergebnissen können wir mit modernen Simulationsmethoden erstaunlich gute Vorhersagen für reale Anwendungssituationen errechnen“, sagt der Vorausentwicklungsleiter. Deshalb hat er keine Zweifel, dass der Zero- Carb-Schmierstoff funktional die Erwartungen erfüllen wird. Konkrete Anwendungstests bleiben trotzdem nötig, um die Einhaltung aller Spezifikationen nachzuweisen. Sie sollen im nächsten Skalierungsschritt – mit dann rund 50 Kilogramm Rohsubstanz – möglich werden.

Spannender findet der Schmierstoffentwickler aber einen anderen Aspekt, der ebenfalls bald angegangen werden soll: die Mindestanforderungen. „Wie sauber müssen die Ausgangsstoffe sein?“, formuliert der Leiter die entscheidende Frage. „Davon hängt schließlich der Preis ab.“ So sind es neben manchen technischen Aufgaben eben auch viele bis dato nicht seriös zu beantwortende ökonomische Fragen, die in der geplanten Projektlaufzeit bis 2022 noch als Herausforderung auf FUCHS und seine Partner warten.

Dirk Bogaczyk,

Mitarbeiter der Emschergenossenschaft in Essen und Gesamtkoordinator für die 1. Phase der strategischen Allianz ZeroCarbFP (2013 – 2016)

Herr Bogaczyk, worum geht es bei ZeroCarb FP?

Im Kern geht es darum, einen möglichst effektiven, geschlossenen Kohlenstoffkreislauf zu schaffen. Dazu sollen Kohlenstoffverbindungen aus industriellen Abfall- und Nebenströmen biotechnologisch – also letztlich mit Hilfe von Mikroorganismen – in neue Wertstoffe verwandelt werden. Stichwort Rohstoffwandel: Viele Branchen versuchen, sich vom Erdöl unabhängiger zu machen, auf nachhaltig gewonnene Rohstoffe umzusteigen und alternative und umweltschonende Verfahren zu nutzen. Die Politik unterstützt dies durch die 2010 beschlossene „Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“. Dieser Weg ist angesichts der globalen Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung auch dringend geboten: Der Nahrungsmittelbedarf dürfte sich bis 2050 verdoppeln, ebenso das Abfallaufkommen, und bei Biokunststoffen geht man sogar von einer Verdreifachung aus.

Was wird konkret erforscht?

Es gibt unterschiedliche Stränge: Für uns als Wasserwirtschaftsverband  ist natürlich interessant, Kohlenstoff und andere Wertstoffe aus  Abwässern zu extrahieren. Andere Teilprogramme setzen etwa bei Glycerin  an, das bei der Biodieselproduktion als Reststoff anfällt, oder bei  Kohlendioxid in Rauchgas. Daraus sollen mit Hilfe biotechnologischer  Prozesse etwa flexibel einsetzbare Plattformchemikalien, Biokunststoffe  oder Additive für Schmierstoffe werden.

Was sind die größten Herausforderungen?

Generell ist in der Biotechnologie das Upscaling schwierig: In der  Forschungsphase ist man in der Regel froh, Produkte im Milliliter- oder  Milligramm-Maßstab zu erzeugen. Ob und wie sich ein Prozess dann auf den  Liter- oder gar Kubikmetermaßstab übertragen lässt, ist damit noch  nicht gesagt. Eine weitere Herausforderung ist es, Synergien zu heben.  Bisher waren die Teilprogramme relativ eigenständig unterwegs. Jetzt  geht es darum, den Allianzgedanken stark zu machen, Verfahren und  Anlagen möglichst für verschiedene Anwendungen und Stoffströme zu  nutzen. Das hängt eng zusammen mit der dritten großen Herausforderung:  Letzten Endes reicht es nicht, wenn wir funktionierende Verfahren  entwickeln. Diese müssen zudem wirtschaftlich konkurrenzfähig sein – und  es idealerweise auch bleiben, wenn Rahmenbedingungen wie etwa der  Ölpreis oder die Nachfrage nach bestimmten Ausgangsstoffen sich ändern.